Die Reihe Momente beleuchtet meine Erinnerungen an besondere Augenblicke in Videospielen. Die Geschichten sollen vor allem Nicht-SpielerInnen einen Einblick geben, welche Erlebnisse man in diesem Medium haben kann und wie unterschiedlich diese Erfahrungen sein können. Sie sollen die LeserInnen auch anregen, mit Kindern und Jugendlichen zum Thema Videospiele ins Gespräch oder Spiel zu kommen.
GTA Vice City wurde 2002 von Rockstar Games veröffentlicht und ist das vierte Spiel der weltbekannten Grand-Theft-Auto-Reihe. Die GTA-typische offene Spielwelt ist dem Miami der 1980er Jahre nachempfunden und hat einen entsprechenden 80er-Jahre-Soundtrack, der über Radiosender in den fahrbaren Autos ausgespielt wird. Es ist zudem möglich, seine eigenen Audiodateien ins Spiel zu integrieren, die dann auf einen seperaten Radiosender laufen.
Im Herzen von Vice City
2003 wohnte ich in Berlin und suchte nach dem für mich passenden Studiengang. Ich war von meiner großen Liebe frisch verlassen worden und entsprechend emotional zerstört, sinn- und ablenkungssuchend, vor allem aber allein. An vielen Tagen spielte ich noch eine Stunde Vice City bevor ich ins Bett ging. Ich hatte vor der Trennung einen Radiosender mit unseren Liedern angelegt. Und es nicht übers Herz gebracht, diesen wieder zu löschen.
Und so entwickelte sich eine Art virtuelle Trennungstherapie. Ich kam irgendwann nachts nach Hause und setzte mich vor meinen PC. Im Spiel ignorierte ich sämtliche Missionen, Monsterjumps oder versteckten Pakete. Ich schnappte mir ein Auto oder Motorrad, suchte unseren Radiosender und fuhr trennungsschmerzend durch die Straßen von Vice City. Nacht für Nacht. Nach ein paar Wochen verklang das Verlangen, mich den gemeinsamen Erinnerungen hinzugeben und ich spielte das Spiel zu Ende. Keine nächtlichen Herzschmerzfahrten in Vice City mehr. Das Schlimmste war überstanden.
Mein Vice City
Das Ganze ist über 15 Jahr her und erst letztens kaufte ich mir GTA Vice City aus Nostalgiegründen in einem Steamsale. Ich wollte einfach noch einmal in die mir von früher so vertraute Spielwelt eintauchen und schauen, ob alles noch am rechten Platz ist. Es war ein Zeitreise-Erlebnis: Ich erkannte jede Kreuzung wieder, die abgehenden Stichstraßen von der Strandpromenade, die Hauptstraße, auf der ich Tränen des Trennungsschmerzes vergossen hatte.
Ich legte einen eigenen Radiosender an und befüllte diesen mit einem einzigen Lied, was mir als erstes zu der damaligen Trennungsepisode in den Kopf kam: Letting the Cables Sleep von Bush. Ich kann schwer beschreiben, was dann passierte. Für die Länge des Liedes war ich wieder Anfang zwanzig, saß vor meinen PC mit Blick über Friedrichshain und fühlte den Herzschmerz von damals. Eine kurze, aber intensive Zeitreise, die mich so verdattert wie glücklich zurück ließ.
Als einzig vernüngtiger Vergleich fällt mir die Erinnerungsszene von Anton Ego aus Ratatouille ein – siehe unten.
Videospiele haben mir besondere Erlebnisse wie dieses geschenkt, die mich als Erinnerung mein Leben lang begleiten werden.