Die Reihe Momente beleuchtet meine Erinnerungen an besondere Augenblicke in Videospielen. Die Geschichten sollen vor allem Nicht-SpielerInnen einen Einblick geben, welche Erlebnisse man in diesem Medium haben kann und wie unterschiedlich diese Erfahrungen sein können. Sie sollen die LeserInnen auch anregen, mit Kindern und Jugendlichen zum Thema Videospiele ins Gespräch oder Spiel zu kommen.

Borderlands 2 ist ein Shooter des Entwicklers Gearbox und erschien 2012 als Nachfolger des Ursprungsspiels Borderlands (2009) für Konsolen und PC. Das Spiel verbindet klassische Shooter-Mechaniken mit Rollenspiel-Elementen wie XP, Charakter-Level und Skill-Trees. Seit dem ersten Teil sticht die grafische Darstellung der Borderlands-Serie aus der Masse von möglichst realitätsnahen Shooter-Szenarien hervor: Charaktere und Umgebung haben einen comic-artigen Cel-Shading-Stil, sowie teilweise fantastische und monströse Gegner statt Soldaten. Die Borderlands-Serie lässt sich sowohl im Einzelspieler- als auch im kooperativen Modus mit bis zu vier Charakteren spielen.

Challenge Arenas in Borderlands 2

Neben diversen Story- und Sidequests kann der Spieler in Boderlands 2 seine Fertigkeiten in so genannten Challenge Arenas unter Beweis stellen. In einer abgeschlossenen Arena müssen immer größere und stärkere Gruppen von Gegnern besiegt werden. Ziel ist schlicht, bis zum Schluss zu überleben.

Die konkrete Challenge Arena dieser Geschichte erinnerte an ein verlassenes Fußballstation. Der Rasen hatte Sanddünen Platz gemacht. In dieser Dünenlandschaft lagen mannshohe Container verstreut – um den Spielern die Möglichkeit einer Deckung zu geben. Etwa zwanzig Meter über der Arena verlief eine Art eingezäunter Catwalk, der den Spieler durch einen Aufzug den Zugang zur Arena ermöglichte.

Mein zufälliges Team

Aus reiner Neugier entschied ich mich, die obige Challenge Arena mit Hilfe von drei fremden Mitspielern in Angriff zu nehmen. Über die Multiplayer-Optionen öffnete ich mein Spiel für interessierte Online-Spieler von Borderlands 2 und etwa eine Minute später wurden drei Charaktere in mein Spiel gebeamt. Wir begrüßten und gegenseitig kurz tippend über den Chat des Spiels. Wir sahen unsere Spielernamen über den Köpfen unserer Charaktere. Sonst wussten wir nichts von einander.

Ich tippte in die Runde: „Challenge Arena?“ Allgemeine Zustimmung im Team. „Sure!“ – „Sounds good!“ – „Let’s go!“
Wir sprinteten über den Catwalk zum Aufzug. Als alle vier auf der wackeligen Platform versammelt waren, blickte ich noch einmal kurz in die Runde, tippe ein „Alright guys – let’s do this!“ in selbige und betätigte einen überdimensionerten Hebel. Der Aufzug setzte sich ächzend in Bewegung in Richtung Challenge Arena.

Meine epische Schlacht in Borderlands 2

Ich habe viel darüber nachgedacht, wie ich Nicht-Spielern meine Erlebnisse in der Challange Arena beschreiben soll. Am ehesten vergleichbar scheint mir unser Kampf mit einer epischen Schlacht aus einem Fantasy-Roman. Wir gaben uns gegenseitig Deckung. Wir halfen uns wieder auf, wenn einer von uns zu Boden ging. Wir fielen dem Gegner in den Rücken, bevor dieser den finalen Schlag gegen ein geschwächtes Teammitglied ausführen konnte.

In den ersten Runden war ich verblüfft darüber, wie vier miteinander völlig unbekannte Spieler sich so gut ergänzen und unterstüzen konnten. Unsere Erfahrungen und Fertigkeiten aus dem Einzelspieler-Modus kamen zusammen und waren plötzlich mehr als die Summer der einzelnen Teile. Die ersten drei Runden dominierten wir mit unschlagbarem Teamwork das Schlachtfeld.

In Runde vier kam meine Hilfe bei einem zu Boden gegangenen Mitspieler zu spät. Geht ein Teammitglied zu Boden, haben die anderen Spieler eine kurze Zeit die Möglichkeit, diesen vor dem Ausscheiden aus der challenge Arena zu retten. Leider kam ich Sekunden zu spät und konnte nur noch mit ansehen, wie mein Teamkollege von Schlachtfeld auf den Catwalk verbannt wurde. Jetzt waren wir nur noch zu dritt.

Kurz darauf fiel ein weiterer Mitstreiter den nicht enden wollenden Gegnerhorden zum Opfer. Und zu Beginn der fünften und letzten Runde stand ich plötzlich alleine in der Challenge Arena. Ich blickte nach oben zum Catwalk. Alle drei anderen Teammitglieder standen dort und blickten nach unten zu mir. Keiner hatte das Spiel verlassen. Plötzlich sah ich etwas vom vergitterten Catwalk nach unten fallen. Ich blicke vor meine Füße: Ein Power-Up um meine schwindende Energieleiste wieder aufzubessern. Was ich vorher nicht gewusst hatte: Meine ausgeschiedenen Teammitglieder konnten mich vom Catwalk aus mit verschiedenen Power-Ups unterstützen, sogar heilen.

Eine Art Posaune ertönte. Riesige Container mit spinnenähnlichen Monströsitäten wurden in die Challenge Arena herabgelassen. Die letzte Runde hatte soeben begonnen.

Ich hetzte über das Schlachfeld von Deckung zu Deckung, ein Heer von Monsterspinnen auf den Fersen. Vom Catwalk begann es Unterstützung zu regnen. Über den Chat auch: „You can do it!“ – „Go for it!“ – „Blast those fuckers!“
Es war eine unfassbar knappe letzte Runde. Ohne die Unterstüztung von oben hätte ich nicht die geringste Chance gehabt, die Challenge Arena lebend zu verlassen. Aber mein unablässig werfendes und jubelndes Team versetzte mich in eine Art Flow-Zustand. Ich wuchs über mich hinaus und kämpfte mich durch die Gegnerhorden zu einem knappen, aber verdienten Sieg.

Nachdem das letzte Spinnenmonster das zeitliche gesegnet hatte, wurde der Fahrstuhl wieder in die Arena gelassen. Ich fuhr nach oben und stand vor meinen nun nicht mehr werfenden, aber immer noch jubelnden Teamkollegen. Mein Herz raste und war gleichzeitig mit Dankbarkeit für dieses unvergessliche Erlebnis erfüllt. „Guys – thank you so much! You were amazing!“ Mehr konnte ich in diesem Moment nicht artikulieren. „No – YOU were amazing!“ – „WE were fucking amazing!“ – „That was epic – you guys rock!“

Nachdem wir ein paar Minuten gefeiert hatten, verabschiedeten wir uns von einander und beendeten unsere jeweiligen Spiele. Besser konnte es nicht mehr werden.

Mein Borderlands 2

Dies ist nur eine private Anekdote eines erwachsenen Videospielers. Ich hoffe, dass sie andere Spieler erfreut und Nicht-Spielern einen Einblick gibt, was Videospiele und insbesondere Shooter alles sein können. Ich möchte nur den Blickwinkel öffnen, dass es in Shootern um mehr gehen kann als um stumpfes Morden im Spiel und aggressives Beleidigen im Chat.

Viele Elern und Pädagogen stehen kopfschüttelnd vor dem aktuellen Fortnite-Phänomen. Vielleicht helfen Geschichte wie mein gemeinschaftliches Flow-Erlebnis in Boderlands 2, den Reiz eines solchen Spiels differenzierter zu betrachen und Neugier für die Geschichten zu entwicklen, den unsere Kinder dort erleben und bestimmt gerne teilen wollen.